DER ANFANG
#1
Ich fange mit dem Anfang an: Yoga zu üben braucht keine Voraussetzungen; weder im Hinblick auf Alter, Körpergröße oder -gewicht noch auf Beweglichkeit oder allgemeine "Fitness". Du musst dich weder vegan ernähren, noch auf Alkohol oder Kaffee verzichten. Es gibt keine Kleiderordnung und schon gar nicht musst Du an irgendeinen Gott glauben oder spirituell sein.
Mein Unterricht ist weder ein Training, das als Ziel die Bikini- oder Badehosenfigur hat, noch versteht er sich als Weg zu "Erleuchtung". Es gibt kein "Om" und keine Räucherstäbchen.
Es reicht eine Yogamatte, etwas Zeit und etwas Raum, den Du für Dich hast. Solange wir atmen, können wir Yoga üben. Um es in den Worten von T.K.V. Desikachar auszudrücken: “Wir beginnen dort, wo wir sind, so, wie wir sind und was geschieht, geschieht”
Worum es mir geht ist:
- den Körper so in Bewegung zu bringen, dass er gesund bleibt bzw. Impulse bekommt, sich in Richtung Gesundheit zu entwickeln;
- den Atem bewusst einzusetzen, sodass er den Körper unterstützt und Mittel ist, den Geist fokussiert zu halten;
- Achtsamkeit im Geist zu schulen, sodass mehr Ruhe und Gelassenheit auch im Alltag entstehen können;
- Impulse zu geben, die aus der Yogaphilosophie stammen und die erstaunlich aktuell für unser modernes Leben sind.
EINZIGARTIG
#2
„NICHT DER MENSCH SOLL SICH DEM YOGA ANPASSEN, DER YOGA MUSS SICH DEM MENSCHEN ANPASSEN“
T. Krishnamacharya
Das ist einer der für mich wichtigsten Leitsätze im Yoga.
Wir haben alle unterschiedliche Körper, Lebensumstände und -geschichten und unsere Verfassung wechselt täglich. Yogapraxen sollten das berücksichtigen, indem sie - möglichst individuell - Angebote machen.
Es kommt also weniger darauf an, ein Asana in einer bestimmten, vermeintlich "richtigen" Form auszuüben als vielmehr seine Funktion im Blick zu haben.
Funktion meint zum Beispiel, mit einer Vorbeuge den verspannten, vielleicht sogar schmerzenden Rücken wieder in Bewegung zu bringen. Nicht immer ist es dann förderlich, mit durchgestreckten Beinen die Hände bis zum Boden zu bringen. Manchmal ist es sinnvoller, die Knie einzubeugen, sich nur leicht vorzubeugen und die Hände auf einen Hocker abzulegen.
Die Devise ist also: Mehr ist nicht automatisch besser, auch wenn es vermeintlich besser aussieht.
SCHRITT FÜR SCHRITT
#3
Yogapraxen werden nicht zufällig zusammengestellt, sondern folgen einem Prinzip, das "vinyāsa krāma" genannt wird.
"krāma" heißt "der Schritt",
"Vi" meint "in besonderer Weise",
"nyāsa" heißt "platzieren".
Schritte also, die in besonderer Weise platziert werden. Dies meint zum Beispiel, dass herausfordernde Übungen immer einer Vorbereitung bedürfen und ebenso eines Ausgleichs, um schädliche Nebenwirkungen zu minimieren. Wir gehen nicht von 0 auf 100 und ebensowenig von 100 wieder auf 0. Wie ich in die Yogapraxis aus meinem Alltag komme, und wohin ich wieder hinausgehe, spielt eine Rolle für die Gestaltung der Praxis.
Das Prinzip der Schritte meint auch, dass es eine Richtung gibt, vielleicht sogar ein Ziel, wo wir mit einer einzelnen Praxis oder mit der täglichen Yogapraxis insgesamt hinwollen. Dafür muss man sich seines Ausgangspunktes sehr genau bewusst sein, d.h., eine große Klarheit über die eigene aktuelle Verfassung haben; um dann sinnvolle Schritte auf das Ziel hingehen zu können, die weder unter- noch überfordern.
Und um zurückzukommen auf #2: Nicht jeder Schritt, der für den einen sinnvoll ist, ist es auch für die andere.
WORUM GEHT’S EIGENTLICH?
#4
In den letzten 20 Jahren hat Yoga eine so rasante Entwicklung gemacht, dass man sich vor Angeboten kaum retten kann. Was mir auffällt ist, dass Yoga sich im Zuge dieser "Eroberung" der westlichen Welt perfekt unserem Lebensstil angepasst hat: Auch auf der Matte geht es sehr häufig darum, den Körper zu formen und zu optimieren, sodass er einem Idealbild nahe kommt, das perfekt in unsere Leistungsgesellschaft passt. Jungsein, Schlanksein und möglichst extreme Dehnbarkeit gelten als Ziele, die es durch Yoga zu erreichen gilt. Ein Blick in Online-Fotodatenbanken, wenn ich das Stichwort "Yoga" eingebe, genügt: Die Bilder von jungen, schlanken, durchtrainierten, extrem beweglichen, meist weiblichen Körpern in hippen Yogaoutfits gleichen sich wie ein Ei dem anderen.
Wenn ich im Yogaunterricht einer Teilnehmerin mit angeschlagenem Rücken vorschlage, eine Übung statt auf der Matte in einer sanfteren Variante von einem Hocker aus zu machen, dann bemerke ich häufig Widerstand: Irgendwie ist das doch kein „richtiges“ Yoga. So wenig Bewegung kann ja nichts “bringen”…. So fest ist in unseren Köpfen (übrigens auch in meinem!) verankert, dass m e h r automatisch b e s s e r ist. Und so häufig sind wir mit unserer Aufmerksamkeit im Außen, im Vergleich – im Alltag ist es Nachbars Garten und beim Yoga die Matte der Nachbarin. Wir wollen es so machen und so haben wie die schönen Bilder, die wir von diesem Asana im Kopf haben, sei es aus einem You tube-Video oder der Yoga-Zeitschrift. "Zähne zusammenbeißen und durch".... "muss ja gehen"....
Ich wünsche mir und möchte dazu beitragen, dass Yoga wirklich ein "anderer" Ort sein kann; dass durch Yogapraxis Werte kultiviert werden, die sich erstmal quer anfühlen zu dem, was üblicherweise gilt. An dem die tatsächliche Übung ist, den eigenen Körper nicht als weiteres zu optimierendes Objekt zu begreifen; sondern stattdessen immer feiner in der Wahrnehmung dessen zu werden, was er wirklich braucht. Seine Einzigartigkeit zu sehen und ihn in seiner Schönheit und manchmal auch Verletzlichkeit zu würdigen und zu pflegen. Egal wie alt, groß, dick, dünn, beweglich, stark, schwach...
Und das bedeutet eben manchmal auch, eine Übung „nur“ zum Hocker zu machen, weil dies in diesem Moment viel passender sein kann. Es bedeutet, nicht immer alles so machen oder haben zu können, wie es in der Vorstellung sein könnte oder „sollte“. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie schwer das ist. Ich bin in diesem Punkt immer wieder Lernende. Wenn es jedoch gelingt, dann eröffnet sich die Möglichkeit, mit dem in Kontakt zu kommen, was mit das Kostbarste ist, was wir haben: mit uns selbst, in diesem Augenblick, so wie wir gerade sind.